The Killing Joke: Seiten 34-46 – Finale

Batmans Ankunft mit dem Batmobil. (DC Comics)

Batman trifft mit dem Batmobil auf dem Rummelplatz ein. Zum ersten Mal sehen wir das Auto in voller Größe und ein Splash Panel räumt ihm den gebührenden Platz ein. Die Freaks – ob dünn oder dick – fliehen ängstlich, während im Hintergrund weiter der tote Makler auf dem rosa Elefanten schaukelt. Batman springt, theatralisch das Cape hebend, aus dem Auto und baut sich vor dem Joker auf. Eine wort- und geräuschlose Sequenz – doch dann, im letzten Panel, das Batmans Kopf als schwarze Silhouette mit weißen Augenschlitzen zeigt, wird sein Eingangsmonolog zitiert: „Hello. I came to talk …“

Während vom Todeskampf die Rede ist, stürzt sich Batman auf den Joker. Die schlimmste Befürchtung scheint einzutreffen. Zwischen den beiden Kämpfenden hockt James Gordon nackt im Käfig, was bereits in der Eingangssequenz in Arkham angedeutet wurde, als Gordon ebenfalls hinter Gittern zu sehen war. Auch dass sich Batman auf den Joker stürzt, erinnert an die erste Szene. Hier werden die ersten fünf Seiten auf zwei Seiten zusammengefasst.

In die Höhle des Löwen: Batman und Joker. (DC Comics)

Der Joker spritzt Batman Säure auf den Arm und flieht ins „House of Fun“, durch eine Clownstür, ähnlich der Doppeltüren in der Geisterbahn, durch die der Joker Gordon gejagt hat. Batman befreit Gordon, der sich bei ihm ausweint. Batman will bei ihm bleiben, bis die Polizei eintrifft, doch Gordon besteht darauf, dass Batman den Joker jagt und ihn nach dem Gesetz festnimmt. „We have to show him that our way works!“

Nun haben sich die Rollen verkehrt: Gordon will den Joker durch Batman missionieren. Er hat sich nicht verrückt machen lassen, sondern will den Joker zur Vernunft bringen. Batman geht ins „House of Fun“ und verschwindet hinter dem grotesken Grinsen der Clownstür, nur um im Inneren mit weiteren grinsenden Fratzen konfrontiert zu werden. Seine Hände sind zum Greifen ausgestreckt wie zwei Klauen.

Jokers Entstehung als Multiple Choice

DC Comics

Batman hört die Lautsprecherdurchsage des Jokers: Es spiele keine Rolle, ob Batman ihn fange und nach Arkham zurückschicke, Gordon sei in den Wahnsinn getrieben worden und der Joker habe Recht behalten.

„I’ve demonstrated there’s no difference between me and everyone else! All it takes is one bad day to reduce the sanest man alive to lunacy.“

Während Batman beinahe in eine Todesfalle stürzt (vergiftete Stacheln unter einer Falltür), muss er sich anhören, selbst das Produkt eines schlechten Tages und damit genauso verrückt wie alle anderen zu sein. Hier zeigt sich wieder der Widerspruch in der verdrehten Logik des Jokers: Wenn alle bereits verrückt sind, können sie nicht mehr verrückt gemacht werden, dann gibt es keinen Unterschied mehr und das Bestreben des Jokers ist hinfällig.

Auf der nächsten Seite sehen wir den Joker mit dem Mikrofon durch die Gänge wandern und er wird persönlich: Auch ihm sei einst etwas Schlimmes passiert, das ihn verrückt gemacht habe, allerdings bekommen wir nicht bestätigt, was wir bereits in seinem Origin gelesen haben.

„I … I’m not exactly sure what it was. Sometimes I remember it one way, sometimes another. If I’m going to have a past, I prefer it to be multiple choice!“

Damit schwinden alle Sicherheiten. Die vier Rückblenden über den jungen Mann und seine schwangere Frau, den Red Hood und den Sturz in Chemikalien – all das wird hier in Frage gestellt. Es ist nicht unbedingt, was geschehen ist, sondern bestenfalls nur eine Möglichkeit von vielen, vielleicht auch eine Wahnvorstellung. Dafür würde auch die surreale Darstellung sprechen.

Multiple Choice: Der Ursprung des Jokers. (DC Comics)

In einem späteren Origin von Mark Waid präsentiert der Joker drei Versionen: den Comedian, „mob killer“ Napier (wie im Batman-Film von 1989) und den Red Hood (wie 1951). Die Multiple-Choice-Origins greift auch Heath Ledgers Figur im Film The Dark Knight auf, indem er ständig neue Erklärungen für seine Gesichtsnarben bietet. Der Joker bleibt also trotz der ausführlichen Hintergrundgeschichte ein Rätsel.

Es spielt auch keine Rolle, wie es gewesen ist, klar ist nur, dass er durch ein negatives Erlebnis traumatisiert wurde. Der Joker nennt es in aller Offenheit „crazy“, doch er stellt es als Klarsicht dar: Seitdem sieht er die Welt als das, was sie ist: einen schlechten Witz.

Zweiter Weltkrieg durch Telegrafenmasten-Streit?

Der Joker belegt das anhand zweier Anekdoten über globale Konflikte. Die eine zielt auf den Kalten Krieg, der anscheinend fast ausgebrochen ist wegen eines Gänseschwarms auf einem Computerbildschirm. Die zweite handelt vom Zweiten Weltkrieg. Der sei aufgrund eines Streits darum ausgebrochen, wie viele Telegraphenmasten Deutschland an Reparationen schuldig war. Natürlich ist das Unsinn. Der Joker spielt hier auf den Streit um die Erfüllung des Versailler Vertrags nach dem Ersten Weltkrieg an, der zur Ruhrbesetzung führte:

„Am 2. Dezember beantragte die Reichsregierung, die Frist für die Holzlieferungen, die nach dem Versailler Vertrag bis Ende 1922 fällig waren, bis zum 1. April 1923 zu verlängern. Am 26. Dezember stellte die Reparationskommission gegen die Stimmen des britischen Vertreters eine schuldhafte Verfehlung Deutschlands bei der Lieferung von Schnittholz und Telegrafenstangen fest. Die juristische Begründung für den Einmarsch ins Ruhrgebiet war damit geschaffen.“ (Heinrich August Winkler: Weimar 1918-1933, C.H. Beck 2019, S. 402)

Im Januar 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Es folgte die Hyperinflation, die das Deutsche Reich in eine schwere Wirtschaftskrise stürzte. Doch bis zum Zweiten Weltkrieg war es noch ein langer Weg von 16 Jahren. Der Joker reduziert nicht nur die Ursache des Kriegs auf einen kleinen Teilaspekt, der weit in der Vergangenheit zurückliegt, er spart auch den wichtigsten aus: Hitler und die Nazis, ihren Größenwahn und den Rassismus, sowie alles, was dafür den Weg geebnet hat. Genauso gut kann man auch argumentieren, Auslöser für den Zweiten Weltkrieg war der Erste oder gar Napoleon oder der Urknall, weil all das am Ende dazu geführt hat.

Die Tatsache aber, dass ich das trotzdem recherchiert und bereits zwei Absätze darauf verwendet habe, zeigt, dass ich damit auf den Joker hereingefallen bin. Er will mit seinen Argumenten die Absurdität der Welt zeigen, doch dieses ist selbst absurd und noch absurder ist, dass ich mich damit befasse, um es zu entkräften, obwohl den meisten die Absurdität bewusst ist.

Nicht zufällig läuft der Joker durch ein Spiegelkabinett voller Zerrbilder, die ihn größer oder breiter erscheinen lassen, als er ist. „It’s all a joke! Everything anybody ever valued or struggled for … it’s all a monstrous, demented gag! So why can’t you see the funny side? Why aren’t you laughing?“ Er selbst bleibt dabei ernst und schaut besorgt.

Die Antwort darauf gibt Batman, nachdem er die Trugbilder des Spiegelkabinetts durchbricht – ein klassisch dramatischer Auftritt. „Because I heard it before“, sagt er, „and it wasn’t funny the first time.“ Er packt den Joker und wirft (oder prügelt) ihn durch das Glas nach draußen. Dann desillusioniert er ihn: Gordon gehe es gut, sagt er, der Joker habe versagt. Es müsse nicht immer so laufen wie beim Joker, wenn das Schicksal zuschlägt.

DC Comics

Da die Argumente ausgetauscht sind, findet der Rest des Kampfes nonverbal statt. Der Joker zieht Batman an der Maske, macht ihn lächerlich, und schlägt ihm mit einem Balken auf den Kopf, einen Messerstich kann Batman abwehren und nach zwei Schlägen ist der Kampf beendet. Ein letzter Versuch, Batman zu töten, mit dem Revolver, scheitert daran, dass er keine Kugeln hat. Zumindest behauptet das der Joker, doch die Fahne mit den Worten „CLICK CLICK CLICK“ deutet darauf hin, dass es sich ohnehin um eine Trickwaffe handelt, auch wenn sie so aussieht wie die, mit der Barbara angeschossen wurde. Er scheint es mit dem Mord an Batman nicht ernst zu meinen – denn er braucht ihn. Es ist alles nur ein Spiel zwischen den beiden.

Der Joker erwartet eine Abreibung, Batman weigert sich, er will Joker nach den Regeln fassen, wie Gordon es gewollt hat. Wieder hält er sein Anfangsplädoyer, diesmal vor dem echten Joker: Er wolle ihn nicht verletzen oder dass einer den anderen tötet. Batman bietet ihm Hilfe an. Der Joker, dem das Lachen vergangen ist, denkt ein Panel lang darüber nach und erteilt Batman eine Absage: „No. I’m sorry, but … No. It’s too late for that. Far too late.“ Die Sache scheint ihm trotzdem nahe zu gehen. Er ist ernst und greift sich an den Kopf.

Der Joker erzählt einen Witz – und Batman lacht. (DC Comics)

Doch der Moment währt nur kurz: Daraufhin erzählt der Joker einen Witz, an den ihn die Situation erinnert. „See, there were these two guys in a lunatic asylum …“ – Diese Worte fallen bereits auf Seite 3, als Batman die Zelle des Jokers betritt. In der Sequenz haben die Worte keinen Sprecher, jetzt wird klar, dass es sich um eine Prolepse (Vorblende) gehandelt hat – genauso wie Batmans eben zitierter Eingangsmonolog als Analepse (Rückblende) in die erste Sequenz zurückreichte. Dadurch wirkt es, als ob die beiden für einen Augenblick zueinander finden, nachdem sie zu Beginn nicht mal im selben Raum waren.

Eine Seite wird dem Witz gewidmet, eine Seite – die letzte – dem Lachen. Der Joker lacht zwei Panels lang, dann steigt auch Batman mit ein, während zum allgemeinen Gelächter die Polizeisirene miteinstimmt. Der lachende Batman packt den Joker an den Schultern und wir senken den Blick zu Boden. Das Lachen verstummt, wir sehen Regen, der in die Pfütze fällt und es endet, wie es begann. Wir sehen lauter sich überschneidende Kreise. Der Kreis schließt sich – und damit beginnt ein neuer Kreislauf von Gefangenschaft, Ausbruch, Flucht, Irrsinn und Verbrechen.

Manche haben das Ende so gedeutet, dass Batman den Joker tötet. Darauf deutet meiner Ansicht nach nichts hin. Weder Alan Moores Skript, noch die Bildsprache: Beide lachen, Batman packt den Joker auch nicht am Hals, um ihn zu würgen, er hat auch keinen Grund dazu, die Polizei ist da. Vor allem hat Batman nie die Absicht gehabt oder geäußert, den Joker umzubringen, im Gegenteil er hat sogar Angst davor. Alles soll „by the book“ laufen. Am Ende passiert es nicht ganz, denn Batman fällt mit seinem Lachen sehr aus der Rolle. Nicht der Joker lacht zuletzt, sondern Batman mit ihm. Nach allem, was der Joker getan hat, ist das eine höchst unangemessene Reaktion und Batman erscheint in seiner Kumpelhaftigkeit mit seinem Erzfeind erst recht unheimlich.

The Killing Joke gibt damit implizit dem Joker recht, denn die Geschichte zeigt, dass sich der Held vom Schurken nicht sehr unterscheidet. Zumindest für einen Moment siegt der Wahnsinn.

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2 Kommentare

  1. Wow ich hab schon wieder ne fette Entenpelle. 😀
    Das war eine sehr ausführliche Analyse meines favourite Batman Comic book. Viele neue Blickwinkel und Feinheiten, die mir so vorher nie bewusst waren, haben sich mir so eröffnet, dafür vielen Dank!

    Gefällt 1 Person

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