Titel: Harleen
Autor/Zeichner: Stjepan Sejic
Erschienen: 2019 (Harleen #1-3), Hardcover 2020
Harley Quinn ist gerade so hoch im Kurs und omnipräsent, dass es nervt: im Kino, als Zeichentrickserie, in den Comics. DC hat 2019 in seinem Black Label gleich zwei Harley-Miniserien parallel gestartet. Eine davon ist Harleen. Erzählt wird in diesem Dreiteiler alles noch einmal, schon wieder und von vorn, wie aus Harleen Quinzel Jokers Geliebte Harley Quinn wurde. Also noch eine Mad-Love-Variation für Erwachsene und breitgewalzt auf 200 Seiten. Aber nein: Denn so vertraut die Story zunächst scheint, ist hier doch alles anders.
Harleen Quinzel ist hier zunächst eine talentierte junge Psychiaterin, die an starken Selbstzweifeln leidet. Anders als in Mad Love hat sie sich nicht hochgeschlafen, sondern ihre Karriere hart erarbeitet. Sie ist eine Idealistin, die herausfinden will, warum psychisch Kranke ihre Empathie verlieren, und fängt dafür Interviews mit Insassen in Arkham Asylum an. Darunter ist auch der Joker.
Harleen hat Angst vor ihm. Sie leidet unter Schlaflosigkeit und Alpträumen. Und sie lässt sich nicht täuschen. Die Erfahrungen ihrer Vorgänger zeigen ihr, dass der Joker ein Manipulator ist, der selbst Profis mit seinen Lügen einwickelt. Trotzdem glaubt sie in den Gesprächen mit ihm, zu seinem wahren Selbst vorzudringen und ihm helfen zu können. Sie überschreitet eine Grenze nach der anderen, um ihm näher zu kommen – und verliert sich selbst.
Joker á la Thomas Hobbes
Der Joker ist hier ein junger attraktiver Mann, dessen Philosophie an Heath Ledgers Interpretation, bzw. an Thomas Hobbes, erinnern:
„We’re all monsters in a civilized cage, it just takes the right kind of pain and fear to break the lock.“
Gotham sei die „city of monsters“, aber mit seinen vielen gewalttätigen Irren immerhin ein ehrlicher Ort. Denn auch die scheinbar guten Menschen sehen sich danach, sich in gewalttätige Tiere zu verwandeln.
„Gotham is full of people like that. Hands twitching while they dream of violence, shivering with barely suppressed rage, brimming with righteous indignation. Smiling politely as they imagine savage things. Every last one of them a bomb that needs but a single spark to set it of.“
Harleen funktioniert aber nicht nur wegen einer starken Joker-Figur so gut, sondern auch weil es keine Harley Quinn-Story ist. Die Figur kommt kaum vor. Stattdessen ist es eine Harleen-Quinzel-Story. Die Geschichte einer scheiternden Psychiaterin, die nur helfen will, aber sich selbst nicht helfen kann, immer tiefer in den Abgrund zu rutschen. Zum anderen gelingt Harleen, weil sich Autor Stjepan Sejic viel Zeit lässt, seine Hauptfigur zu ergründen und glaubwürdig zu erzählen, wie eine intelligente Frau zu einer Psychopathin unter dem Einfluss des Jokers werden kann. Die Antwort: Sie bildet sich ein, ihm helfen zu können, weil er in ihr die Liebe findet, die er braucht. Die Story profitiert davon, dass die tragische Heldin ihre Geschichte in einer zweifelnden Offenheit selbst erzählt.
Warum Batman nicht tötet
Batman spielt hier nur eine kleine Rolle am Rande. In einer Sequenz fragt ihn Harleen, warum er nicht tötet. Er antwortet, dass er hofft, den Tätern helfen zu können:
„I don’t kill because as hard as it sometimes is, it’s still the right choice. I don’t kill because I don’t want to give up on them…or on myself.“
Durch diese Aussage bestärkt er indirekt die Psychiaterin in ihrem Willen, dass man auch den Joker heilen könne.
Harleen ist zu einem großen Teil auch eine Two-Face-Story. In einer intensiven Variation seiner Entstehungsgeschichte wird gezeigt, wie Staatsanwalt Harvey Dent im Kampf für das Gute langsam in den Wahnsinn abrutscht und sich mit den Executioners, einer Bande von Polizisten, verbündet, die davongekommene Verbrecher tötet. Gemeinsam planen sie, die Insassen von Arkham zu befreien, um in der Stadt wieder die Todesstrafe einzuführen. Allein hier könnte man kritisieren, dass es naheliegender wäre, wenn sie die Verbrecher selbst hinrichten würden – so wie sie es auch sonst tun.
Darüber hinaus ist der Comic auch optisch gelungen. Stjepan Sejic zeichnet mit präzisem, feinfühligem Strich ausdrucksstarke Figuren mit nuancierten Mimiken und Körperhaltungen. Schurken wie Two-Face, Poison Ivy und Killer Croc wirken ebenso schrecklich wie anziehend. Auf dem großen Seitenformat kommen die Bilder besonders gut zur Geltung.
Insgesamt ist Harleen unbedingt lesenswert und einer der besten Harley-Quinn-Origins seit Mad Love. Eine echte Bereicherung dürfte es gerade für die sein, die Harley Quinn nicht mögen. Dieses Comic könnte sie endlich mit der Figur versöhnen.

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