Superman als Mann von gestern

DC Comics

„… it is only through the memory of those who love it — that a legend lives!“

Im Jahr 1984 kam die 400. Ausgabe von Superman heraus. Die Serie feierte ihr 45-jähriges Bestehen. In diesem Jubiläumsheft ist nicht nur eine All-Star-Riege an Künstlern versammelt (wie auch später bei Batman #400), hier hat man sich auch etwas Besonderes einfallen lassen: eine Anthologie darüber, wie man in der Zukunft auf den Mann aus Stahl zurückschauen wird. Der Mann von Morgen ist hier also ein Mann von gestern. Ein hochinteressantes Konzept, geschrieben von Elliot S. Maggin!

Zunächst sehen wir (gezeichnet von Joe Orlando), wie Superman allein durchs All treibt und sich an seine vergangene Heimat Krypton zurückerinnert – ein Ritual, das er einmal pro Jahr durchführt (ähnlich wie Batman in Crime Alley). Dann wird der Held in eine Reihe mit den größten Männern und Frauen der Weltgeschichte gestellt: Martin Luther King, Albert Einstein, Moses, Shakespeare, Johanna von Orleans, Abraham Lincoln – zwei Amerikaner, zwei Juden, ein Brite, ein Schwarzer und immerhin eine Frau. Als Superman zur Erde zurückkehrt, belauscht er einen Lehrer und seine Schulklasse. Dieser gibt den Schülern die Aufgabe, sich auszudenken, wie man Superman sehen wird, wenn er nicht mehr existiert. Was folgt, sind also Aufsätze, die der Phantasie von Kindern entspringen – „The Living Legends of Superman“.

Historische Wahrheit ist Nebensache

Im zweiten Kapitel zeigt uns Zeichner Al Williamson eine Mondkolonie im Jahr 2199, wo ein fahrender Händler „Superman Nectar“ an Kinder zu verkaufen versucht. Ein Wundermittel, das angeblich alle Leiden kuriert, angeblich aus Supermans Cape stammt und mit diesem soll der Held einst selbst gerettet worden sein, als ihn im All die Kräfte verließen. Die Geschichte hat ihre logischen Lücken, das erkennen auch die Kinder, doch sie kaufen das Zeug trotzdem. Moral: Die Wahrheit spielt keine Rolle, Hauptsache die Geschichte geht gut runter. In Zeiten des Geschichtsrevisionismus eine bedenkliche Einstellung, aber was Superman angeht, stimmt es auf jeden Fall.

Im dritten Kapitel (gezeichnet von Frank Miller) wird in einer anderen Zukunft, im Jahr 2230, die Geheimidentität von Superman gelüftet. Möglich macht es ein Asteroid („Bradbury Rock“, von Ray Bradbury stammt auch das Vorwort des Heftes), der als eine Art Zeitkapsel aus einem Paralleluniversum (Earth-Prime). Darin findet sich ein alter Film aus dem 20. Jahrhundert, eine Episode aus Adventures of Superman (1952-1958) mit George Reeves. Zuvor hatte man den Industriellen Morgan Edge und Bruce Wayne als Superman vermutet. Ein fragwürdiges Verfahren, einen Film aus einer Parallelwelt für bare Münze zu nehmen – seriöse Historiker würden das niemals tun.

Superman als Widerstandssymbol

Im vierten Kapitel (gezeichnet von Marshall Rogers und Terry Austin) befinden wir uns im Jahr 2491, kurz vor Weihnachten in einer Dystopie. Ein Obdachloser rettet sich vor der Kälte in die leerstehende öffentliche Bibliothek, in der zufällig auch eine Kiste mit Supermans Kostüm steht. Er zieht es sich an, um nicht zu frieren. Da wird er von einem Wachmann gefunden und mit einer Laserpistole beschossen, doch das Kostüm beschützt ihn. Euphorisch rennt er hinaus und ruft die Leute zum Widerstand gegen die Repressalien auf, bis er dann am Kopf getroffen und getötet wird. Das Superman-Kostüm macht den Leuten Mut zu einem Aufstand.

In Kapitel fünf (gezeichnet von Wendy Pini) diskutieren zwei Historiker auf einer Raumstation, wer diese Superperson war, die einst das blau-rote Kostüm getragen hat. Professor Vik Abel findet, es müsse eine Frau gewesen sein, Professorin Jania Goode geht eher von einem haarigen, stämmigen Mann aus. Dieser sei aber pure Fiktion gewesen, erdacht vom Showman Morgan Edge, der Filme, Fernsehen und „faked news“ (!) produziert hat. Superman soll nur eine Computerspielfigur gewesen sein. Der Kollege widerspricht: Die Theorie sei Unsinn, da sie eine Person lächerlich mache, die ihre Vorfahren einst verehrt hätten – so als müsste sich Geschichtsschreibung nach Wunschdenken richten. Es endet im Streit der Gelehrten. Seriöse Wissenschaft scheint in der Zukunft keinen hohen Stellenwert zu haben, dafür mehr die Spekulation.

Superman von Will Eisner und Bernie Wrightson (DC Comics)

Kapitel sechs („Last Son of Krypton“ von Mike Kaluta) zeigt zwei Jungs, die in einer virtuellen Welt Superman spielen. Hier ist der Held ein „Dark Avenger of the Night“, der seine Kräfte nur dank eines Gürtels aus einer lange verlorenen Zivilisation hat.

Superman als Erlöser

Im siebten Kapitel (von Klaus Janson) feiert eine Familie im Jahr 5902 das Miracle Monday Dinner, eine Freiheitsfeier zu Ehren von Superman. Vor Jahrtausenden habe dieser die Welt von Verbrechen, Tyrannei und Ignoranz befreit. Superman wird zum neuen Messias, der Weihnachten neu definiert: Man tauscht Geschenke aus und legt auf einem leeren Teller etwas Essen ab, für den Fall, dass der Retter zurückkehrt. Und dann passiert zufällig genau das und Superman bekommt einen Einblick in die glorreiche Zukunft der Menschheit.

Die achte und letzte Story („The Exile at the Edge of Eternity“, geschrieben und gezeichnet von Jim Steranko) ist eine Prosageschichte mit doppelseitigen Illustrationen – und abgesehen von visuellen Werten die wohl fadeste. Supermans Nachfahren helfen der Menschheit, das Weltall zu besiedeln. Nach einer großen Katastrophe überlebt nur ein blinder Nachkomme, der auf einem Planeten das Augenlicht wiedererlangt und seine „Eva“ trifft. Die Geschichte beginnt an ihrem Ende von vorn …

Superman von den besten Künstlern

Auch wenn nicht alle Episoden gleich überzeugen, bilden sie in der Gesamtheit einige spannende Blicke auf den Vater aller Superhelden und vor allem auf seinen Mythos. Die Sammlung zeigt, wie schnell Geschichte in Vergessenheit gerät, Erinnerung verfälscht werden kann und von Legenden überlagert wird, sodass die Fakten untergehen.

Zwischen den Kapiteln gibt es etliche Pin-ups von Künstlern, die sonst nicht für Superman bekannt sind oder ihn bisher nicht gezeichnet haben: Brian Bolland (The Killing Joke), Jack Kirby, Will Eisner (Spirit), Steve Ditko, Bernie Wrightson (The Cult), Bill Sienkiewicz und sogar Moebius.

Superman von Bill Sienkiewicz und Frank Miller (DC Comics)

Leider wurde Superman #400 bisher nie neu aufgelegt – jedenfalls nie in voller Länge. Allein die letzte Story („The Exile at the Edge of Eternity“ von Jim Steranko) ist nachgedruckt in drei Anthologien: The Greatest Superman Stories Ever Told und Superman: The Greatest Stories Ever Told Vol. 1 (1987 & 2004) und Superman: The 85th Anniversary Collection (2023), die Miller-Story in Superman: A Celebration of 75 Years (2013) sowie in der deutschen Superman Anthologie (Panini 2018). Eine vollständige deutsche Ausgabe erschien bisher nur in Superman Superband #25 (Ehapa 1984).

Höchste Zeit für eine Facsimile Edition!

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