Titel: Gotham Nights
Autor/Zeichner: Michael Grey, Mark Russell/Ryan Benjamin, Jim Lee u.a.
Erschienen: 2020 (Gotham Nights #1-6)
Nach den ersten Ausgaben von DCs neuer „Digital First“-Serie Gotham Nights habe ich mal einen Blick hineingewagt. Erzählt werden meist 17-seitige Kurzgeschichten, die jeweils für sich allein stehen.
Die erste Ausgabe beginnt mit zwei kurzen Geschichten, die Militärbezug haben. In „Medal of Honor“ (gezeichnet von Jim Lee) passiert etwas Ungewöhnliches: Wir sehen Batman an der Seite der Polizei gegen eine schwer bewaffnete Clownsbande kämpfen. Aus dem Off erzählt jemand das Geschehen nach. Batman setzt sich dem Kugelhagel aus, Gordon wird verwundet – und Batman rettet ihm das Leben. Am Ende wird klar, dass die Worte aus einer Rede von 2010 stammen, in der US-Präsident Barack Obama den Soldaten Sal Giunta mit der Medal of Honor für seinen Einsatz in Afghanistan ausgezeichnet hat. Damit ist Giunta der erste Soldat seit dem Vietnam-Krieg, der diese Auszeichnung erhielt.
Joker als Anwalt der Unterwelt
Indem Giuntas wahre Geschichte mit der von Batman fusioniert, soll der Soldat geehrt werden. Zugleich aber wird natürlich auch Batman die Ehre zuteil, auch wenn in der Story ihm niemand eine Medaille umhängt. Batman als Soldat auf dem Schlachtfeld von Gotham, der selbstlose Dunkle Ritter. Ein interessantes Experiment. Die folgende Geschichte, die Kate Kane (Batwoman) bei einem Einsatz in Afghanistan zeigt, kann da nicht mehr mithalten.
In den nächsten zwei Ausgaben folgen Geschichten über Clayface und Poison Ivy, wie man sie schon zu Dutzenden gelesen hat: Clayface nimmt die Gestalt eines Schauspielerkollegen an, um einen Studio-Boss zu erschießen, der sich an einer Kollegin vergriffen hat – der Rest ist Selbstmitleid und Kampf. Und Poison Ivy rächt sich für die Rodung des Regenwaldes – gähn … Immerhin solide gezeichnet von Ryan Benjamin.
Doch dann übernimmt ein neuer Autor, Mark Russell, und es wird wieder interessanter: In „The Dragnet“ spioniert Bruce Wayne seine reichen Freunde aus, die das Trinkwasser verseuchen und ihr Geld mit Partydrogen verdienen. Batman bringt sie ins Gefängnis, aber er spielt weiter ein Doppelspiel als Bruce Wayne. Am Ende kommt der Joker ins Spiel – als Anwalt der Unterwelt. Auch hier ist alles schnell vorbei, aber es ist immerhin eine einfallsreiche Geschichte, die man sich auch gerne etwas länger gewünscht hätte.
Ähnlich in Ausgabe fünf: In „Concrete Jungle“ muss Batman einen Zeugen an einem schießwütigen Mob vorbeibringen, um ihn der Polizei auszuliefern. Harley Quinn hat hier einen unbedeutenden Gastauftritt. Und während man sich fragt, wie Batman einen Menschen in einem Sack herumtragen und werfen kann, ohne dass sich das Opfer alle Knochen bricht, gibt es am Ende wieder eine nette überraschende Wendung.
Codewort: Balyushka
Das Beste aber kommt zum Schluss: Nachdem Batman so viele Verbrecher schnappt, dass Gotham ein neues Gefängnis bauen muss, um sie alle unterzubringen, fehlt Geld im Haushalt. Also kürzt man bei der Krankenversicherung. Daraufhin springt der Joker ein. Per Video-Botschaft verkündet er, die jeden Monat die Versicherung für fünf Bürger zu übernehmen, wenn sie ihm ein Video schicken, auf dem sie das Wort „Balyushka“ sagen. Natürlich muss es ein Video nach Jokers verdrehtem Geschmack sein.
Kurz darauf ist die Stadt voller Verzweifelter, die allen möglichen Unfug anstellen, um ihre dringend benötigte medizinische Behandlung bezahlen zu können, und Batman muss einige von ihnen retten, bevor sie sich ernsthaft wehtun.
Mark Russells Story ist nicht nur unterhaltsam und schwungvoll gezeichnet (Viktor Boddanovics Stil erinnert sehr an Greg Capullo), sondern auch verblüffend vielschichtig: Da ist die Kritik an dem menschenverachtenden Gesundheitssystem der USA, Kritik an Batmans rücksichtslosem Feldzug, der einen hohen Preis für die Verbrechensbekämpfung zahlt, aber auch an der Sensationskultur des Internets, in der täglich auch ohne Not Menschen sich zu Idioten machen, um ein paar Minuten Aufmerksamkeit zu bekommen. Selbst das Ende hält noch eine starke Wendung parat.
Insgesamt also ist Gotham Nights bislang einerseits ein solider Einstieg für Neulinge und Gelegenheitsleser, ohne sich in die Vorgeschichten und Continuity vertiefen zu müssen. Andererseits können auch eingeschworene Batman-Fans, die leichte Lektüre für zwischendruch suchen, ein paar kleine Perlen entdecken.
Es wäre zu früh, aus den ersten sechs Ausgaben einen Trend abzuleiten, aber wenn es so weitergeht, dann hat diese Serie noch großes Potenzial, ähnlich wie die Anthologie-Sammlungen Legends of the Dark Knight und auch Batman: Black and White.

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