Vor fünf Jahren kam Todd Philipps Film Joker heraus und sorgte für Furore. Ein Goldener Löwe in Venedig, ein Kassenschlager, aber auch eine gespaltene Kritik. Die einen lobten die Darstellung von Joaquin Phoenix, die Kamera, die Musik, die anderen kritisierten den Nihilismus. Und viele Touristen tanzten auf der berühmtesten Treppe von New York. Seitdem wurde die Filmfigur sowohl von Linken als auch von Rechten für sich beansprucht. Ist dieser Joker ein Protest gegen die Wokeness und ein Hohelied auf den Incel? Oder ist Arthur Fleck bloß ein Opfer des menschenverachtenden Kapitalismus?
Kurz bevor die Fortsetzung, Joker: Folie à Deux, erscheint, habe ich mir den Film noch einmal angesehen. Und ich war leider nicht mehr so begeistert wie beim ersten Mal.
Keine Frage: Joaquin Phoenix spielt seine Rolle immer noch genial und vielschichtig, der Film ist wunderbar gedreht und Hildur Guðnadóttir hat ihren Oscar für die beste Filmmusik ebenfalls verdient. Und doch gibt es zwei Kritikpunkte, die mich stören: Zum einen bedient sich Joker zu sehr bei seinen Vorbildern Taxi Driver und The King of Comedy von Martin Scorsese.
Zwischen Taxi Driver und The King of Comedy
So sehen wir Arthur Fleck wie Travis Bickle oben ohne mit einem Revolver herumposieren und Selbstgespräche führen, bis er sie schließlich in einem Akt von Selbstjustiz benutzt. Und ebenso wie Rupert Pupkin ist auch Arthur ein Möchtegernkomiker, der nicht einsehen kann oder will, dass es ihm Talent fehlt, und lieber anderen den Humor abspricht. Die Parallele ergibt sich zwar aus der Comicvorlage (The Killing Joke), doch die Nähe zu den beiden Filmen lässt ihn fast wie eine Art Remix klassischer Motive erscheinen.
Negatives Menschenbild
Zum anderen ist der Film zu eintönig in seinem Pessimismus: Die Stimmung ist durchweg bedrückend, fast jeder Mensch hier ist schlecht, an allem Elend ist die Gesellschaft schuld, selbst Thomas Wayne ein Schuft, Arthur Fleck ist ein überkonstruiertes Opfer, das scheinbar nicht anders als zum Mörder werden kann, weil ihm das Schicksal übel mitspielt: Er wurde misshandelt, er ist krank und einsam, er wird vom System fallengelassen und verliert seinen Job, er hat eine kranke Mutter und keine Frau, die ihn liebt – die gezeigte Partnerschaft erweist sich als Selbstbetrug. Gleich zweimal wird Arthur kurz hintereinander grundlos angegriffen. Gotham City versinkt im Müll und Elend, als verdiente sie es nicht anders.
Der Joker taucht erscheint darin als weinender Clown, der bloß das traurigste Gelächter hervorbringen kann, das fast wie eine Anklage gegen alles und jeden klingt. Am Ende jedoch ist Arthurs Genese zum Joker ein Akt der verkorksten Selbstermächtigung, wird aber dargestellt, als hätte er keine andere Wahl. Er begehrt auf, als es schon zu spät ist, wird unfreiwillig zum Anführer einer ganzen Bewegung, die sich gegen das Establishment auflehnt. Der Mörder wird als Held gefeiert, während die Stadt noch weiter im Chaos versinkt.
Selbstmitleid und Mord
Arthurs Auftritt am Ende in der TV-Show wirkt erbärmlich. Er ergeht sich in Selbstmitleid. Host Murray (Robert De Niro) weist ihn zurecht: „You’re so much self-pity, Arthur, you sound like you’re making excuses for killing those young men. Not everybody – and I tell you this – not everyone is awful.“ Doch Arthur bleibt unbelehrbar und begeht einen weiteren Mord. Er hat sich gefunden in der Rolle des Joker und findet nicht mehr heraus. Und das muss er allein deshalb schon, weil der Film so heißt und der Joker eine traditionsgemäß festgelegte Figur ist.
Natürlich kann man einwenden, dass der Film mehrdeutig bleibt: Man kann ihn als Tragödie lesen, wie jemand durch die Gesellschaft dem Wahnsinn verfällt. Man kann ihn als warnendes Beispiel verstehen, wie wir mit Menschen und vor allem mit benachteiligten Außenseitern umgehen. Doch durch die überhöhende Inszenierung des Joker und Untermalung mit Songs wie „That’s Life“, in dem Frank Sinatra die Beharrlichkeit gegen alle Widerstände bis zum Tod besingt, scheint die Tendenz zu Arthurs zu gehen. Kein Wunder, dass sich darin Trump-Anhänger bestätigt fühlen. Wahnsinn erscheint als einzige Antwort auf Frust, Gewalt als einziger Ausweg.
Zerrbild des radikalen Fanboys
Der Joker wird damit nicht nur zum Zerrbild des Incels und radikalisierten Einzeltäters, der sich durch schlechte Erfahrungen radikalisiert und eine Bewegung von Nachahmern nach sich zieht, sondern auch des Fanboys, der als Snyder-Cut-Troll das Netz unsicher macht, sobald ein Film nicht seinen Vorstellungen entspricht, und bloß genug Terror verbreiten muss, um zu bekommen, was er will: Aufmerksamkeit. Nach diesen Prinzip funktioniert auch der Riddler im Film The Batman (2022). Doch leider fehlt bei Joker das Korrektiv eines Batman.
Insofern bleibt Heath Ledgers Joker im Vergleich der überlegenere: Er stiftet das Chaos selbst und bewusst, um eine bloße These zu beweisen, nämlich wie fragil die Gesellschaftsordnung ist. Er selbst will nichts für sich: keine Liebe, keine Reichtümer. Er tut, was er tut, ohne Furcht und ohne eine Belohnung oder Bestätigung zu erwarten. Er verweigert sich einer psychologischen Herleitung oder anderen Erklärung. Er wirkt wie eine Naturgewalt, die aus dem Nichts kommt. Deshalb ist dieser Joker schwer zu überbieten.

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