Titel: Gotham City: Year One
Autor/Zeichner: Tom King/Phil Hester
Erschienen: 2022-2023 (Miniserie #1-6), Hardcover 2023
Das Jahr: 1961. Gotham City ist eine blühende und sichere Stadt, kaum Morde, sogar weniger als in Metropolis. Privatdetektiv Slam Bradley bekommt Besuch von einer jungen schwarzen Frau namens Sue, die einen Brief für Richard und Constance Wayne hat (die Großeltern von Bruce Wayne). Kaum haben sie den Inhalt des Briefs gelesen, lassen sie Slam (eigentlich Sam) im Keller foltern, denn ihre Tochter wurde entführt und er gilt als Hauptverdächtiger. 100.000 Dollar Lösegeld verlangt der Kidnapper, der mit einem Fledermaus-Symbol unterzeichnet und fortan „Bat-Man“ genannt wird. Kurz darauf wird auch noch Slams Partner erschossen aufgefunden – und dann traktiert ihn die Polizei mit Prügeln …
Eigentlich wollte ich von Tom King (Batman/Catwoman) nichts mehr lesen und Phil Hesters Zeichenstil gehört auch nicht zu meinen Favoriten, aber dann war ich doch zu neugierig, was die beiden mit dem Charakter machen. Slam Bradley ist eine schwierige Figur. Einerseits ist er ein Stück früher Comic-Geschichte, eine Schöpfung von Jerry Siegel und Joe Shuster und er tauchte – ein Jahr vor Superman! – in der ersten Ausgabe von Detective Comics auf. Andererseits geht DC mit diesem Heft heute nicht mehr hausieren, denn es enthält einige stereotype Darstellungen von Asiaten, bedient die in den 30ern grassierenden Panik vor der „Yellow Peril“ und Slam Bradleys Äußerungen sind nicht nur nach „woken“ Maßstäben erschreckend rassistisch.
Slam Bradley wird rehabilitiert
Ed Brubaker hat in seinem Catwoman-Run Anfang dieses Jahrhunderts versucht, Slam aus diesem schwierigen Erbe zu lösen. Der Privatschnüffler wurde zu einem Sympathieträger nach dem Schema harte Schale, weicher Kern. Nun macht ihn Tom King zu einer Person of Color, indem er ihm eine schwarze Mutter verpasst. Obwohl sein Bruder Opfer von rassistischer Polizeigewalt wurde, wurde Slam trotzdem Polizist und leugnete seine Herkunft, um Karriere zu machen und dann doch als Privatdetektiv zu enden, der von der Polizei misshandelt wird. In der Story gerät er nicht nur unter Verdacht, sondern sieht auch zu, wie später eine Schwarze zu Unrecht beschuldigt wird und dann People of Color generell als Sündenböcke für die Wut des Mobs herhalten müssen.
Nicht nur dank dieses gesellschaftskritischen Aspekts geht Gotham City: Year One auf, auch die Story überzeugt, weil sie gekonnt die Spannung hält, am Ende mehrmals überrascht, vor allem aber schonungslos die tragischste Wendung nimmt und die tiefsten menschlichen Abgründe offenbart. Allein für diese Rücksichtslosigkeit und Konsequenz ist King zu loben. Damit steht dieser Comic in bester Hardboiled-Tradition. (Die Spur des Falken lässt grüßen.) Phil Hester schafft mit seinem kantigen Stil eine wunderbar dazu passende Noir-Atmosphäre und spielt oft auch geschickt mit Silhouetten. Jordie Bellaire setzt seine flächigen Farben sparsam ein.
Zu viele Worte, zu viele Namen
Nur drei Kritikpunkte: King lässt seinen Erzähler Slam Bradley zu viel reden. Vor allem lässt er ihn zu viel sagen, was wir bereits sehen. Wenn er einen die Treppe runterwirft, muss das nicht noch mal nachzulesen sein. Aber hier scheint kein Panel ohne Worte auskommen zu können. (Auch die Verwendung der Interjektion „SLAM!“ ist etwas zu sehr aufs Auge gedrückt.)
Und dann das Namedropping. Es gehört zum guten Ton, Orte nach Batman-Veteranen (Autoren und Zeichnern) zu benennen, aber hier übertreibt King, wenn er mehr als eine Seite lang Slam aufzählen lässt, durch welche Straßen er gefahren ist. Ein normaler Mensch würde das niemals erzählen, wenn es keine Bedeutung hat, aber hier soll anscheinend wirklich jede Legende einmal erwähnt werden, was aber einen lächerlichen Effekt hat.
Drittens: Die Story kommt weitgehend ohne Batman aus. Nur zweimal ist er zu sehen, als passiver Zuhörer der Geschichte. Er spielt aber sonst keine Rolle. Das ist an sich kein Problem, sondern löblich, hier geht es ja um die Vorgeschichte, wie Gotham wurde, was es heute ist. Aber dann muss es doch irgendwie eine Art „Bat-Man“, eine Batcave mit Trophäensammlung, eine Art Catwoman und ein Ace-Chemiewerk geben, schließlich muss sogar noch genealogischer Retcon betrieben werden. All das wirkt etwas bemüht, hätte man sich sparen können. Aber ganz ohne Fledermaus scheint es nicht zu gehen …
All das sind nur Kleinigkeiten, die das Vergnügen nicht zu sehr trüben. Daher: Klare Empfehlung für alle, die mal eine Batman-Pause brauchen und anspruchsvollere Lektüre mögen. So eine gute Unterhaltung hat mir Tom King seit seinem Sheriff of Babylon nicht mehr geboten. Wie schön: Er kann es noch.

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