Wie hat das eigentlich angefangen, mit den „Graphic Novels“ bei Batman? 1987 mit Son of the Demon? Oder 1988 mit The Killing Joke? Alan Moore nennt diesen One-shot in seinem Typoskript jedenfalls so, wenn es auch auf dem Cover nirgends so bezeichnet wird. Man spricht im Fachjargon eher von „One-shots“, also für sich stehende Comichefte, die (in diesen Fällen) länger sind als die üblichen, die monatlich erscheinen.
Eine „Graphic Novel“ zu definieren, ist wohl genauso schwierig wie einen Roman.(Warum eigentlich „die“, wenn es der Roman ist?) Wikipedia bezeichnet sie als „Comics im Buchformat“. Damit wären aber Sammelbände von mehreren Comicstrips oder Comicheften bereits ebenfalls Graphic Novels, während andere Comics von vornherein als solche erscheinen, weil sie nicht zuvor serialisiert herauskamen, wobei es auch Serien von Graphic Novels geben kann – es bleibt kompliziert. Oft meint man mit dem Begriff für sich stehende, abgeschlossene Geschichten in einem längeren Format als ein übliches Heft. Aber das ist auch nicht einheitlich geregelt. Es geht also mehr um Umfang und Erscheinungsform, nicht um eine Gattung oder einen bestimmten Inhalt. Dabei sollte es anfangs genau darum gehen: Graphic Novels waren „Comics für (anspruchsvolle) Erwachsene“.
„Graphic Novel“ als Marketing- und Imagebegriff
Ursprünglich sollte der Begriff das Medium „Comic“ salonfähig machen, abheben von der als minderwertig angesehener, nicht ernst zu nehmender Massenunterhaltung (für Kinder). Das Label Roman sollte dem Comic den Glanz von Literatur verleihen, so als ob die Gattung grundsätzlich etwas über Qualität sagen würde, als gäbe es keine „Groschenromane“ oder „Schundromane“. Aber ein „grafischer Roman“ klingt seriöser als „Comic“ oder eine „Bildergeschichte“. So biedert man sich bei Erwachsenen und Bildungsbürgern an, die versnobt auf Comics als nicht ernstzunehmende Lektüre herabschauen.
Unter Comicautoren, -künstlern und -fans, wo so ein Imagewechsel nie nötig war, wird der Begriff eher skeptisch gesehen, wenn nicht gar verpönt. Erstens, weil der Begriff unscharf und schief ist: Da wird eine Literaturgattung auf ein ganz eigenes Medium übertragen. Zweitens, weil damit zu sehr eine Nähe zur Literatur entsteht und dem Medium Comic, das nach eigenen Regeln funktioniert, die Eigenständigkeit nimmt. Man kann vielleicht sagen, dass „Graphic Novel“ heute in Fachkreisen so einen schlechten Beigeschmack hat wie das Wort „Comic“ in der Breite – auch wenn es sicher nicht mehr so einen negativen Stand hat wie noch im 20. Jahrhundert.
Dabei hat nicht nur der Begriff eine lange Geschichte, sondern auch das, was man als „Graphic Novel“ verstand. Nicht erst Will Eisner hat ihn mit seinem Meisterwerk A Contract With God (1978) geprägt (obwohl dieser Band strenggenommen nur aus drei Kurzgeschichten besteht). Bereits 1920 nannte Frans Masereel seine Geschichte ohne Worte in Holzschnitten einen „Roman in Bildern“. 1929 folgte Lynd Wards God’s Man. A novel in woodcuts. Doch auch in der Pulp Fiction der 50er gab es sogenannte „Picture Novels“.
In Superheldencomics kam der Begriff „novel“ bereits in den 60ern auf, obwohl die Geschichten nach wie vor nur im Heftformat von etwa 36 Seiten Länge erschienen, also bei weitem keine romanhafte (Über-)Länge hatten.
Imaginary Novels
Die ersten Belege bei DC habe ich in der Serie Worlds Finest Comics gefunden. (Was natürlich nicht bedeutet, es könnte nicht noch frühere geben.) Die Serie begann 1941 als 100-seitige Anthologie mit Geschichten von Superman, Batman und anderen Helden. Mit den Jahren schrumpfte sie auf 68 Seiten. Als sie im Jahr 1954 sie erneut gekürzt wurde (auf 36 Seiten), führte man Superman und Batman (mit Robin) in gemeinsamen Abenteuern zusammen (Batman – Double for Superman!, World‘ Finest #71). So blieb die Serie seitdem – mit einer kurzen Unterbrechung in den 70ern – den Team-Ups zwischen Batman und Superman vorbehalten.
In den ersten Jahren warb man damit auf dem Cover, dass die beiden beliebtesten Helden „in one adventure together“ auftreten. Als in Worlds Finest #134 (1963) die Seitenzahl der Titelgeschichte von 12 auf 15 stieg, war von „super length“ die Rede. Bald darauf bekamen Superman und Batman 18 Seiten, die Geschichten wurden in der Mitte geteilt. Und in der legendären Story „The Saga of Superman vs. Batman“ (Worlds Finest #153, 1965) ist auf dem Cover „An Imaginary Novel“ angekündigt. (Daher kommt auch das Batman-schlägt-Robin-Meme.) In World’s Finest #158 ist sogar von „A complete novel“ die Rede.
Nach diesem Verständnis sind mit „novels“ also relativ lange Erzählungen gemeint, was auch Begriffe wie „saga“ ausdrücken. Zu Deutsch könnte man es mit dem redundanten Begriff „episch“ ausdrücken. Streng genommen ist episch ist natürlich alles, was irgendwie erzählt, aber wenn man etwas „episch“ nennt, ist es halt besonders episch, von geradezu homerischen Ausmaßen.
„A full-length novel“
In den 70ern las man dann auch „A Haunting Halloween Novel“ (Batman #237, 1971) und für The Brave and the Bold wurde auf dem Cover von Heft #143 (1978) „A full-length novel in every issue!“ angekündigt (in #166, 1980 las man es erneut), die Storys waren gerade einmal 16 bis 17 Seiten lang, also füllten nicht mal das gesamte Heft. „This is stretching the word novel beyond the breaking point!“, schreibt Letterer Todd Klein.
Doch es geht noch kühner: Auf dem Cover von World’s Finest #223 (1974) – einem 100-Seiten-Heft – wurden sogar „3 full-length nerve-tingling novels“ versprochen, womit auch zwei ältere Storys aus den 50ern und 60ern gemeint waren, eine davon nur zwölf Seiten lang. Außerdem enthält das Heft auch Storys mit Deadman, Aquaman und Robotman – also eigentlich sechs Kurzgeschichten in einer Ausgabe. Mit einer bestimmten Länge hat „novel“ also nicht mehr viel zu tun. Auch wenn der Begriff uneinheitlich benutzt wurde, konnten jedenfalls schon früh Comics auch Romane sein. Zuweilen liest man auf den Comic-Covern auch Begriffe wie „feature length“ (Spielfilmlänge) oder „book length“ (das ganze Heft ausfüllend).
Novels und novelettes
Detective Comics #489 (1980) enthält laut Cover eine „novel-length Robin-Batgirl-Story“ (15 Seiten) und dazu noch zwei „Batman novelettes“, eine besonders spitzfindige Gattung, die länger als eine Kurzgeschichte, aber kürzer als eine Novelle ist – wie auch immer man das festlegen soll. Hier sind es je acht und zehn Seiten.
Wie dem auch sei: Auffällig ist, dass man bei DC seit den 60ern nicht verlegen darum war, literarische Gattungsnamen für Comicgeschichten zu benutzen, um für den Kauf zu werben. Und wenn man bedenkt, dass es genauso kurze Romane wie lange Kurzgeschichten geben kann, dass Gattungsgrenzen völlig willkürlich sind, geht es auch im Comic drunter und drüber.
Hinzu kommt ein etymologischer Aspekt: „Novel“ kommt von „novella“, was „neu“ meint (und sich auch im englischen Wort novella für Novelle wiederfindet), eine Bedeutung, die auch das englische Adjektiv novel hat. „Novel“ ist also vor allem ein Marketingbegriff, der ausdrücken soll: Hier wird etwas geboten. Nicht nur viel, sondern auch nie gesehene Sensationen, „novelties“ sozusagen. In dieser (Begriffs-)Tradition steht gewissermaßen auch Chris Wares Comicserie Acme Novelty Library, in der auch in serialisierter Form zunächst Jimmy Corrigan und Rusty Brown erschienen, bevor sie als „Graphic Novels“ zusammengefasst wurden. Es zeigt, wie beliebig der Begriff „novel“ verwendet werden kann und wird. Manch Comic wird erst später zur „graphic novel“ gemacht, andere sind es von vornherein – und auch unter zweifelhaften Umständen.
Bleiben wir also lieber beim Comic, auch wenn es darin auch ernst zugeht. Der Begriff Graphic Novel ist genau betrachtet noch alberner.

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Mittlerweile gibt’s ja auch die Bezeichnung Original Graphic Novel:
Original Graphic Novel (OGN)
Describes a book (Softcover or Hardback) that features original material that hasn’t been collected / already published in a comic book storyline or storyarc
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